BTR-Blog

Die Tücken der Beweislast


veröffentlicht am: 28. November 2018

Anmerkungen zum Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 18.10.2017, Az.: 10 LB 16/17. Die Richter legen dar, welche Feststellungen die zuständige Behörde treffen muss, bevor sie die Agrarförderung wegen der Besorgnis einer nachteiligen Veränderung der Grundwasserbeschaffenheit kürzt. Lassen sich die tatsächlichen Verhältnisse später nicht mehr aufklären, gehe dies zulasten der zuständigen Behörde.


Der Sachverhalt (Auszug):

Der Kläger ist Landwirt. Er beantragte im Mai 2014 die Betriebs- und Umverteilungsprämie für das Jahr 2014. Im August 2014 stellte die Mitarbeiterin des zuständigen Landkreises bei einer Vorortkontrolle auf den Flächen des Klägers ein Haufwerk fest und fertigte hiervon Fotografien. Bei dem Haufwerk handelte es sich um Gärreste, die der Kläger bis zur Vorortkontrolle wegen Niederschlags nicht vollständig hatte ausbringen können. Die Lagerzeit betrug acht Tage. Die Mitarbeiterin hatte den Eindruck, dass aus dem Haufwerk schwarz getrübtes, flüssiges Lagergut in nicht unbedeutenden Mengen austritt.


Im Dezember 2014 kürzte die zuständige Behörde die Betriebs- und Umverteilungsprämie des Klägers um jeweils 3 %. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe fahrlässig gegen den „Grundwasserschutz (Anhang III)“ verstoßen.


Der Kläger erhob gegen die Kürzung der Prämienzahlung Klage vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig. Er begründete seine Klage vorwiegend damit, dass die auf der maßgeblichen Fläche gelagerten Gärreste nicht geeignet waren, das Grundwasser negativ zu beeinflussen. Es habe sich nicht um flüssige Gärreste gehandelt, sondern um Gärreste mit einem Anteil trockener Subtanz von rund 22 %. Die vor Ort festgestellte Flüssigkeit sei kein austretender Sickersaft oder ein flüssiger Gärrest gewesen. Es handelte sich um Regenwasser, das sich in Fahrspuren von Landmaschinen mit Gärrestpartikeln vermischt habe.


Der Beklagte hat die Kürzung der Betriebs- und Umverteilungsprämie verteidigt. Nach Auffassung der Beklagten stelle bereits der Austritt von Flüssigkeiten eine Gefährdung für die Gewässer dar. Aufgrund der Wetterprognosen hätte der Kläger mit einer Vermischung des Lagergutes mit Niederschlagswasser rechnen müssen. Die ausgetretene Flüssigkeit sei auch nach Geruch und Aussehen als mit gelösten Gärrestebestand­teilen vermischtes Niederschlagswasser zu identifizieren gewesen. Es sei unerheblich, ob es tatsächlich zu einer Grundwasserbeeinträchtigung gekommen sei.


Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat die Klage abgewiesen. Nach Auffassung der erstinstanzlichen Richter hat der Kläger gegen § 5c DirektZahlVerpflV und somit gegen einzuhaltende Cross-Compliance-Verpflichtungen verstoßen. Das Verwaltungsgericht Braunschweig hatte im Verfahren die Mitarbeiterinnen des zuständigen Landkreises informatorisch angehört. Hiernach war das Verwaltungsgericht davon überzeugt, dass es sich bei der aus dem Gärrest ausgetretenen, flüssigen organischen Substanz um eine grundwasser­gefährdende Flüssigkeit gehandelt hat. Für die Richter bestand kein Zweifel daran, dass diese Flüssigkeit eine solch hohe Konzentration grundwassergefährdender Stoffe hatte, dass eine abstrakte Gefährdung des Grundwassers zu besorgen war.


Der Kläger verfolgt sein Klagebegehren in der Berufungsinstanz vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg weiter.


Das Urteil:

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg gab der Berufung des Klägers statt. Nach Ansicht der Richter ist die Kürzung der Betriebs- und Umverteilungsprämie zu Unrecht erfolgt. Der Beklagte muss die rechtswidrig einbehaltenen Beträge nachzahlen.


Die Richter wiesen in der Entscheidung darauf hin, dass sich die Bewilligung der Betriebsprämie für das streitgegenständliche Jahr 2014 u. a. nach Art. 4 ff. VO (EG) Nr. 73/2009 richtete. Danach war die Bewilligung der Betriebsprämie auch von der Einhaltung sog. „anderweitiger Verpflichtungen“ (Cross Compliance) abhängig. Ein Betriebsinhaber, der Direktzahlungen bezog, musste die Vorschriften zum guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand gemäß Art. 6 VO (EG) Nr. 73/2009 erfüllen. Die Richter begründeten umfangreich, dass die Mitgliedsstaaten auf nationaler oder regionaler Ebene Mindest­anforderungen für den guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand festgelegt haben und dass hierzu der Schutz des Grundwassers gegen Verschmutzung gehörte. Der Schutz beinhaltet das Verbot der direkten Einleitung von Schadstoffen in das Grundwasser sowie zu treffende Maßnahmen zur Verhinderung der indirekten Verschmutzung des Grundwassers durch die Ableitung und das Durchsickern dieser Schadstoffe in bzw. durch den Boden. Deutschland habe diese Mindestanforderungen seinerzeit in der Verordnung über die Grundsätze der Erhaltung landwirtschaftlicher Flächen in einem guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand (Direktzahlungen-Verpflichtungen­verordnung­/DirektZahl­VerpflV) festgelegt. Werde u.a. gegen das in der DirektZahlVerpflV festgelegte Kriterium des guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustands innerhalb eines laufenden Kalenderjahres durch eine dem Betriebsinhaber „anzulastende“ Handlung verstoßen, so können die dem Betriebsinhaber gewährten Direktzahlungen gekürzt werden.


Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg hat der Beklagte jedoch zu Unrecht angenommen, dass der Kläger gegen § 5c Abs. 3 Satz 1 DirektZahlVerpflV i.V.m. Liste II Nr. 3 der Anlage 5 zur DirektZahlVerpflV verstoßen habe. Nach dieser Norm waren die in der Anlage 5 gelisteten Stoffe im Rahmen einer landwirtschaftlichen Tätigkeit so zu handhaben, dass eine nachteilige Veränderung der Grundwasser­beschaffenheit nicht zu besorgen war. Zu den davon betroffenen Stoffen zählten solche, die eine für den Geschmack und/oder den Geruch des Grundwassers abträgliche Wirkung haben, sowie Verbindungen, die im Grundwasser zur Bildung solcher Stoffe führen und es für den menschlichen Gebrauch ungeeignet machen können.

Für den vom Beklagten angenommenen Verstoß gegen die Pflicht zur Erhaltung der landwirtschaftlichen Flächen in einem guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand genüge es jedoch nicht, dass rein theoretisch ein in der Anlage 5 zur Verordnung aufgeführter Stoff in das Grundwasser gelangen könne. Die Richter hielten vielmehr die Abwägung aller Umstände, aus denen sich Anlass zur Sorge einer Grundwasser­verunreinigung ergeben könne, für erforderlich. Die Besorgnis einer Grundwasserverunreinigung sei dabei von der Art des Stoffes und der Nähe des Austrittsortes zum Grundwasser abhängig. Entscheidend sei hierfür nicht nur die Art des Stoffes, sondern auch die Art seiner Lagerung, die Bodenbeschaffenheit sowie die Tiefe und Fließrichtung des Grundwassers. Der Beklagte habe im vorliegenden Verfahren keine Feststellungen dazu getroffen, welche Stoffe gemäß den Listen I und II der Anlage 5 zur DirektZahlVerpflV aus dem Gärrestehaufen ausgetreten sein sollen, insbesondere in welcher Konzentration diese vorlagen, oder wie groß die Gefahr einer nachteiligen Veränderung des Grundwasser auch aufgrund der Lage des Gärrestehaufens, der abgelagerten Menge, der Bodenbeschaffenheit sowie der Tiefe und Fließrichtung des Grundwassers war. Die Richter wiesen darauf hin, dass diese Feststellungen im Nachhinein auch nicht mehr nachgeholt werden können. Da die Mitarbeiterin des Landkreises bei der Vorortkontrolle keine Probe von den vorgefundenen Flüssigkeiten genommen hatte, lassen sich weder deren chemische Zusammensetzung noch die Konzentration der einzelnen darin enthaltenen Stoffe noch die Gesamtmenge der seinerzeit gelagerten Stoffe rekonstruieren. Die fehlende Aufklärbarkeit der damaligen Verhältnisse gehe zulasten des Beklagten. Das Oberverwaltungs­gericht Lüneburg wies darauf hin, dass die bewilligende Stelle die materielle Beweislast für das Vorliegen der Tatsachen, die zu einer Versagung oder Kürzung der Direktzahlung führen, trägt. Kann die Behörde dieser Beweislast nicht nachkommen, habe sie die Kürzungsvoraussetzungen nicht nachgewiesen. Eine Kürzung dürfe dann nicht erfolgen.


Urteilsanmerkungen:

Auch wenn die Entscheidung einen Sachverhalt aus dem Jahr 2014 betrifft, ist die Fallgestaltung eine aktuelle: Es kommt immer wieder vor, das Behördenmitarbeiter bei Vorortkontrollen nur aufgrund äußerlicher Gegebenheiten und persönlicher Überzeugungen eine Grundwassergefährdung annehmen. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg kann dieser Praxis einen Riegel vorschieben und die Behörden zu einer besseren Sachverhaltsaufklärung zwingen.


Im vorliegenden Sachverhalt ergaben sich die Cross-Compliance-Verpflichtungen des Klägers aus § 5c Abs. 3 Satz 1 der bis zum 31.12.2014 geltenden Direktzahlungen-Verpflichtungenverordnung. Danach waren Stoffe nach Liste I und Liste II der Anlage 5 im Rahmen einer landwirtschaftlichen Tätigkeit so zu handhaben, dass eine nachteilige Veränderung der Grundwasserbeschaffenheit nicht zu besorgen ist. Auch wenn die Direktzahlungen-Verpflichtungenverordnung auf Sachverhalte nach 2014 keine Anwendung mehr findet, gelten die ausführlichen Hinweise des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg fort.

Die Direktzahlungen-Verpflichtungenverordnung ist ab 2015 durch die Agrarzahlungen-Verpflichtungen­verordnung ersetzt worden. Diese sieht in § 4 Abs. 3 ebenfalls vor, dass Stoffe nach Liste I und Liste II der Anlage 1 im Rahmen einer landwirtschaftlichen Tätigkeit so zu handhaben sind, dass eine nachteilige Veränderung der Grundwasserbeschaffenheit nicht zu besorgen ist. Die heutigen Feststellungen der Behörde müssen demnach auch den Kriterien genügen, die das Oberverwaltungsgericht Lüneburg aufgestellt hat.


Constanze Nehls
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Agrarrecht
Fachanwältin für Arbeitsrecht
BTR Rechtsanwälte