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Rolle rückwärts oder vorwärts?
Hat die BVVG Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (nachfolgend: BVVG) dem Käufer landwirtschaftlicher Flächen nach den Privatisierungsgrundsätzen 2010 die Einholung eines Sachverständigengutachtens verwehrt, hat sie sich nach der Auffassung des Kammergerichts schadensersatzpflichtig gemacht.
Kammergericht, Urteil vom 19.09.2019 – 23 U 76/18
Der Sachverhalt (Auszug):
Die Klägerin ist ein landwirtschaftlicher Betrieb. Sie hat von der Beklagten mit Vertrag vom 27.07.2011 landwirtschaftliche Nutzflächen gekauft. Die Kläger hatte diese Flächen zuvor gepachtet. Der Kaufpreis für die Ackerflächen betrug 4.219.553,88 EUR.
Der Kaufvertrag wurde unter Geltung der sogenannten Privatisierungsgrundsätze 2010 der Beklagten geschlossen. Diese bestimmten u. a., dass die Beklagte den Kaufpreis entsprechend § 5 Abs. 1 Flächenerwerbsverordnung unter Berücksichtigung von Ausschreibungsergebnissen ermittelt. Kommt keine Einigung über den Kaufpreis zustande, kann ein Gutachten in Auftrag gegeben werden. Es war vorgesehen, dass die Beklagte die Gutachter mit einem der Privatisierungsgrundsätze als Anlage beigefügten Schreiben beauftragt.
Im Zuge der Kaufpreisverhandlungen der Parteien weigerte sich die Beklagte eine Kaufpreisprüfung vorzunehmen. Sie lehnte auch die Einholung eines Wertgutachtens zum einvernehmlich festgelegten Stichtag 16.09.2010 ab.
Die Klägerin ließ den Wert der Ackerflächen sodann selbst durch einen Privatgutachter prüfen. Im Ergebnis war die Klägerin der Auffassung, für die Kaufflächen 742.806,00 EUR zu viel bezahlt zu haben. Sie forderte die Beklagte zunächst außergerichtlich zur Erstattung des überzahlten Betrags auf. Die Beklagte kam der Aufforderung nicht nach.
Das Landgericht Berlin war der Auffassung, die Beklagte müsse die Flächen zum Verkehrswert verkaufen. Insoweit habe sie den Gleichheitsgrundsatz zu beachten. Bei einem Verstoß sei der Kaufvertrag nichtig. Das Landgericht Berlin beauftragte einen weiteren Gutachter mit der Ermittlung des Verkehrswerts der Ackerflächen. Der vom Gericht bestellte Gutachter stellte den Verkehrswert der Ackerflächen mit 3.447.739,00 EUR fest. Danach sei der Kaufpreis um 771.814,88 EUR überhöht gewesen. Das Landgericht Berlin war jedoch der Auffassung, dass gutachterliche Wertfeststellungen ohnehin eine Spanne von bis zu 20 % enthielten, was zugunsten der Beklagten berücksichtigt werden müsse. Aus diesem Grund sei der vom gerichtlich bestellten Gutachter ermittelte Verkehrswert der Ackerflächen um 20 %, d. h. auf 4.137.286,80 EUR zu erhöhen.
Das Landgericht Berlin verurteilte die Beklagte daher zur Rückzahlung der verbleibenden Differenz von 82.267,08 EUR. Sowohl die Klägerin als auch die Beklagte legten gegen das Urteil der ersten Instanz Berufung vor dem Kammergericht ein.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass das Landgericht Berlin den Abschlag von 20 % mangels eigener Sachkunde nicht zugunsten der Beklagten vornehmen durfte.
Die Beklagte wehrt sich gegen den Vorwurf, ein Verbotsgesetz oder eine vorvertragliche Pflicht verletzt zu haben.
Das Urteil:
Das Kammergericht verurteilte die Beklagte in der zweiten Instanz zur Zahlung weiterer 660.538,80 EUR an die Klägerin. Im Gegensatz zum Landgericht Berlin hielten die Richter den Kaufvertrag für wirksam. Die Privatisierungsgrundsätze verpflichteten die Beklagte zum Verkauf der Flächen zum Verkehrswert. Sofern die Beklagte jedoch einen höheren Kaufpreis durchsetze, hindere dies die Wirksamkeit des Kaufvertrags jedoch nicht. Die Privatisierungsgrundsätze seien kein Verbotsgesetz. Ein Verstoß führe nicht nach § 134 BGB zur Nichtigkeit.
Die Richter begründeten den Rückzahlungsanspruch der Klägerin aus §§ 280 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB mit der Verletzung des vorvertraglichen Schuldverhältnisses. Die Beklagte habe gegen ihre Pflicht zur Veräußerung der Flächen zum Verkehrswert und im Falle fehlender Einigung gegen die Pflicht zur Einholung eines Wertgutachtens verstoßen.
Das Kammergericht wies darauf hin, dass die Beklagte bei der Ausgestaltung der Bedingungen der Kaufverträge zur Gewährleistung des Flächenerwerbs nach den Privatisierungsgrundsätzen nicht frei sei. Hierbei handele es sich um eine öffentliche Aufgabe. Wenn der Staat eine solche Aufgabe in den Formen des Privatrechts wahrnehme, stünden ihm grundsätzlich nur die privatrechtlichen Rechtsformen zu. Der Staat könne sich jedoch nicht auf die Grundsätze der Privatautonomie berufen. Der aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gleichheitssatz gebiete es, dass die Beklagte die Verwaltungsvorschriften einhalte. Die Richter sahen es in diesem Zusammenhang als ausreichend an, dass die Existenz einer gültigen Verwaltungsvorschrift nachgewiesen werde. Die Klägerin müsse nicht darlegen, dass sich eine entsprechende Verwaltungspraxis auch tatsächlich herausgebildet habe. Eine andere Sichtweise würde die Verwaltung dafür belohnen, sich nicht an die eigenen Vorgaben zu halten und eine Verwaltungspraxis damit zu unterlaufen. In diesen Fällen könne sich eine klagende Partei nämlich dann nicht auf das Vorliegen einer Verwaltungspraxis berufen.
Das Kammergericht stellte ein unfreiwilliges Vermögensopfer der Klägerin und damit einen Schaden unproblematisch fest.
Dass die Klägerin mit der Beklagten trotz deren Weigerung einen unbedingten Kaufvertrag geschlossen habe, sei dies nach den deutlichen Worten der Richter nur als kleines Übel geschehen. Sie wiesen darauf hin, dass die Beklagte eine Kaufpreisüberprüfung abgelehnt habe. Der Abschluss eines Pachtvertrags mit der Möglichkeit des späteren Flächenerwerbs sei wegen der zu erwartenden Preissteigerungen keine gleichwertige Alternative für die Klägerin gewesen.
Die Höhe des Schadens sah das Kammergericht in der Kaufpreisüberzahlung von 771.814,88 EUR, die das Landgericht Berlin gutachterlich ermittelt hat. Der der Klägerin im zweitinstanzlichen Urteil zugesprochene Betrag setzte sich aus diesem Verkehrswert abzüglich des bereits erstinstanzlich zugesprochenen Betrags zusammen. Die verbleibende Differenz erklärte sich damit, dass die Klägerin unverjährt nur einen geringeren Betrag eingeklagt hatte.
Die Richter des Kammergerichts waren nicht der Auffassung, dass ein Abschlag von 20 % vorzunehmen sei. Die Beklagte war bei der Kaufpreisfindung an den Verkehrswert gebunden. Dessen Ermittlung sei zwangsläufig mit Unsicherheiten behaftet und Streubreiten seien hinzunehmen.
Urteilsanmerkungen:
Das bisher nicht veröffentlichte Urteil des Kammergerichts ist in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. Zunächst verweisen die Richter darauf, dass es sich bei den Privatisierungsgrundsätzen der BVVG um Verwaltungsvorschriften handelt. Aus dem in Art. 3 Abs. 1 GG festgeschriebenen Gleichbehandlungsgrundsatz folge sodann, dass sich die BVVG an ihre eigenen Verwaltungsvorschriften halten muss. Bei Missachtung könne sie sich schadensersatzpflichtig machen.
Mit dem hier besprochenen Urteil haben die Richter des 23. Zivilsenats des Kammergerichts eindrucksvoll das Klischee von „zwei Juristen – drei Meinungen“ bedient. Sie haben deutlich der vom 5. Zivilsenat im Urteil vom 26.04.2019 (Az.: 5 U 59/18) vertretenen Rechtsauffassung widersprochen. Dieser hatte erst fünf Monate zuvor ein Urteil des Landgerichts Berlin aufgehoben. Das Landgericht Berlin hatte die BVVG in einem vergleichbaren Sachverhalt ebenfalls zur Erstattung eines überzahlten Kaufpreises verurteilt. Der 5. Zivilsenat des Kammergerichts ließ damals ausdrücklich offen, ob es sich bei den Privatisierungsgrundsätzen um Verwaltungsrichtlinien handelt. Für die Entscheidung der Richter kam hierauf nicht an. Die Richter waren der Auffassung, dass der auf Rückzahlung klagende Landwirtschaftsbetrieb die Verwaltungspraxis der BVVG hätte beweisen müssen, nach der diese bei Uneinigkeit über den Kaufpreis stets ein Gutachten eingeholt habe. Da der Nachweis nicht geführt werden konnte, sei ein Schadensersatz- und damit ein Rückzahlungsanspruch nicht gegeben.
Es ist leider nicht bekannt, ob das hier besprochene Urteil rechtskräftig geworden ist. Da auch das Kammergericht derzeit auf Sparflamme arbeitet, war eine entsprechende Auskunft nicht zu erhalten. Zumindest bis zu einer etwaig abschließenden Entscheidung durch den Bundesgerichtshof ist der Ausgang eines Schadensersatzverfahrens gegen die BVVG mit dem hier besprochenen Urteil wieder offen. Landwirtschaftsbetriebe, denen im Zusammenhang mit einem Flächenerwerb nach den Privatisierungsgrundsätzen 2010 ebenfalls ein Gutachten verwehrt wurde, sollten unter Beachtung einer möglichen Verjährung dringend prüfen, ob und inwieweit sie ihre Rückzahlungsansprüche gegen die BVVG noch geltend machen können. Im Jahr 2013 hat die BVVG ihre Privatisierungsgrundsätze dann dahingehend geändert, dass sie den Marktwert der Flächen im Rahmen des Direkterwerbs weiterhin auf der Grundlage ihres Vergleichspreissystems ermitteln und Sachverständigengutachten zur Überprüfung des von ihr angebotenen Kaufpreises nicht mehr in Auftrag geben wird.
Constanze Nehls
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Agrarrecht
Fachanwältin für Arbeitsrecht
BTR Rechtsanwälte