BTR-Blog

Haben ist besser als Brauchen


veröffentlicht am: 17. August 2020

Ist Behalten noch besser? Das Bundesverwaltungsgericht hat über die Frage entschieden, ob ein Landwirtschaftsbetrieb Betriebsprämie für Flächen beantragen darf, zu deren Nutzung er nicht mehr berechtigt ist.


Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 05.12.2019, Az.: 3 C 22/17


Der Sachverhalt (Auszug):

Die Klägerin ist ein Landwirtschaftsbetrieb. Sie beantragte die Betriebsprämie 2006 und gab im Sammelantrag hierfür landwirtschaftliche Fläche im Umfang von 508,55 ha an. Voraussetzung für den Erhalt der Betriebs­prämie 2006 war, dass der beantragende Landwirtschaftsbetrieb die betreffenden landwirtschaftlichen Flächen vom 01.10.2005 bis zum 31.07.2006 genutzt hat.


Nach Antragstellung ist in Verwaltungskontrollen festgestellt worden, dass ein anderer Landwirtschaftsbetrieb für die von der Klägerin angegebene Fläche ebenfalls die Betriebsprämie 2006 beantragt hat. Es handelte sich um 43,08 ha, die die Klägerin ursprünglich gepachtet und die der Verpächter zum 31.08.2005 gekündigt hatte. Die Flächen sind sodann an den anderen Landwirtschaftsbetrieb verpachtet worden, obwohl die Klägerin und der Verpächter über die Wirksamkeit der Kündigungen noch stritten. Letztlich versagte der Beklagte der Klägerin im Widerspruchsverfahren für noch 6,45 ha die Betriebsprämie 2006. Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Dresden stand für den Beklagten fest, dass die Kündigung der Pachtverträge für 5,98 ha der streitigen Flächen wirksam und die Klägerin insoweit zur Herausgabe verpflichtet gewesen war. Eine weitere 0,47 ha große Fläche war ohnehin nur bis zum 31.08.2005 an die Klägerin verpachtet gewesen. Tatsächlich hatte die Klägerin die Flächen jedoch vom 01.10.2005 bis 31.07.2006 zum Anbau von Winterroggen bzw. als Wiesen bewirtschaftet.


Der Beklagte verhängte für die Übererklärung im Umfang von 6,45 ha eine Kürzung in Höhe der doppelten Differenz zwischen beantragter und ermittelter Fläche.


Die Klägerin erhob gegen den vom Beklagten erlassenen Kürzungsbescheid Klage vor dem Verwaltungsgericht Dresden, welches die Klage jedoch abwies. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht änderte die erstinstanz­liche Entscheidung und verpflichtete den Beklagten, der Klägerin die begehrte weitere Betriebsprämie 2006 zu gewähren. Die vom Sächsischen Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision des Beklagten richtet sich gegen diese Entscheidung der zweiten Instanz. Der Beklagte strebte die Wiederherstellung des verwaltungsgerichtlichen Urteils an.


Das Urteil:

Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts. Die Bundesrichter waren ebenfalls der Auffassung, dass die Klägerin die Betriebsprämie 2006 für die verbliebenen 6,45 ha beanspruchen durfte und dass die vom Beklagten vorgenommene Kürzung rechtswidrig war.


Die Bundesrichter begründeten ihre Entscheidung damit, dass sich der Anspruch der Klägerin auf Erhalt der Betriebsprämie 2006 aus der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 ergebe. Nach Art. 36 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1782/2003 werde die Betriebsprämie auf der Grundlage der Zahlungsansprüche für eine entsprechende Hektarzahl beihilfefähiger Flächen im Sinne des Artikels 44 Absatz 2 gezahlt. Art. 44 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1782/2003 definiere „beihilfefähige Fläche“ als jede landwirtschaftliche Fläche des Betriebs, die als Ackerland oder Dauergrünland genutzt wird, ausgenommen die für Dauerkulturen, Wälder oder nicht landwirtschaftliche Tätigkeiten genutzten Flächen. Dass es sich bei den 6,45 ha um „landwirtschaftliche Flächen“ gehandelt habe, sei nach den Ergebnissen der Vorinstanzen unstreitig. Die Klägerin habe die Fläche tatsächlich als Acker- beziehungsweise Dauergrünland genutzt.


Das Bundesverwaltungsgericht wies darauf hin, dass die Klägerin die 6,45 ha auch unstreitig allein genutzt habe. Diese habe auf den Flächen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung eine landwirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt. Dadurch scheide ein Betriebsprämienanspruch des Landwirtschaftsunternehmens, welches neben der Klägerin für dieselben Flächen eine Betriebsprämie beantragt hat, aus.


Die Bundesrichter hatten somit allein darüber zu entscheiden, ob die 6,45 ha im Wirtschaftsjahr 2006 dem Betrieb der Klägerin zuzuordnen waren, mithin ob es sich um „Flächen des Betriebs“ der Klägerin im Sinne von Art. 44 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1782/2003 gehandelt habe. Sie führten im Urteil aus, dass die Voraussetzungen, unter denen eine Fläche zu einem Betrieb zugeordnet werden kann, gesetzlich nicht bestimmt seien. Lediglich der Begriff des „Betriebs“ sei gesetzlich festgelegt, als die Gesamtheit der vom Betriebsinhaber verwalteten Produktionseinheiten, die sich im Gebiet desselben Mitgliedstaates befinden. Damit seien einem Betrieb die von ihm verwalteten Produktionseinheiten zugeordnet. Zu diesen Produktionseinheiten können nach Auffassung der Bundesrichter allerdings auch Flächen gehören.


Für die Entscheidung über die Frage der Zuordnung der Flächen zum Betrieb der Klägerin stützte sich das Bundesverwaltungsgericht auf verschiedene Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs. Die Bundesrichter wiesen u. a. darauf hin, dass der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Landkreis Bad Dürkheim zum Begriff der „vom Betriebsinhaber verwalteten Produktionseinheiten“ und der dafür erforderlichen Verfügungsgewalt entschieden habe, dass es genüge, wenn der Betriebsinhaber hinsichtlich der Flächen bei der Ausübung seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit über eine hinreichende Selbstständigkeit verfüge, er mithin in der Lage sei, die Flächen mit der gebotenen Selbstständigkeit zu nutzen (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Oktober 2010 – C-61/09). Die Bundesrichter erkannten, dass der Europäische Gerichtshof in dieser Entscheidung keine der tatsächlichen Verfügungsgewalt zugrunde liegende rechtliche Nutzungsbefugnis gegenüber dem Eigentümer der Flächen aus einem wirksamen Pachtvertrag oder einem ähnlichen Rechtsverhältnis gefordert habe.


Die Bundesrichter wiesen zudem darauf hin, dass der Europäische Gerichtshof auch in nachfolgenden Urteilen die Voraussetzungen der Zuordnung von Flächen im Sinne von Art. 44 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 dahingehend zusammengefasst habe, dass eine Fläche zum Betrieb gehöre, „wenn der Betriebsinhaber befugt ist, die Fläche zum Zwecke der Ausübung einer landwirtschaftlichen Tätigkeit zu verwalten, das heißt, wenn er hinsichtlich dieser Fläche über eine hinreichende Selbständigkeit bei der Ausübung seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit verfüge“.


Entsprechend dieser Auslegung von Art. 44 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1782/2003 durch den Europäischen Gerichtshof sei es für die Bundesrichter nicht zweifelhaft, dass die 6,45 ha für das Wirtschaftsjahr 2006 dem Betrieb der Klägerin zuzuordnen waren. Die Klägerin hatte im maßgeblichen Zeitraum unstreitig die unmittelbare Sachherrschaft über diese Flächen und war damit in der Lage, diese landwirtschaftlich zu nutzen. Die Nutzung geschah – wenn auch ohne fortbestehendes Pachtverhältnis – im rechtlichen Rahmen des mit der unmittelbaren Sachherrschaft einhergehenden Besitzes, welcher der Klägerin durch die Pacht überlassen worden war. Die Klägerin habe den Besitz der 6,45 ha nicht durch verbotene Eigenmacht erlangt. Auch wenn sie gegenüber den Eigentümern nach Beendigung der Pachtverhältnisse nicht mehr zum Besitz berechtigt war, war sie weiterhin im Fortbestand des Besitzes geschützt und damit auch rechtlich in der Lage, die Flächen weiter zu nutzen. Als unmittelbare Besitzerin war sie durch Einräumung eines Gewaltrechts nach 859 BGB und durch die Besitzschutzansprüche der §§ 861 ff. BGB gegenüber der Allgemeinheit und auch im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis gegenüber den Eigentümern und anderweitig Berechtigten geschützt. Die Bundesrichter wiesen darauf hin, dass der Besitzschutz nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht vor Aufgabe oder Verlust des Besitzes, etwa durch Vollstreckung eines Herausgabetitels, ende.


Die Bundesrichter bestätigten, dass die trotz gekündigten Pachtverhältnisses fortbestehende Zuordnung von Pachtflächen ein gewisser Anreiz dafür sein könne, diese pflichtwidrig nicht herauszugeben. Dies sei jedoch Folge des Besitzschutzes. Gegen diesen Besitzschutz müsse der Eigentümer bzw. ein sonst Berechtigter auf per Rechtsweg vorgehen.


Abschließend wies das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass die Agrarförderung im Interesse einer effizienten Massenverwaltung in einem einfachen Antragsverfahren bewältigt werden solle und es nicht Aufgabe der für die Agrarförderung zuständigen Stellen sei, zivilrechtliche Konflikte zwischen dem Eigentümer und dem Nutzer einer landwirtschaftlichen Fläche oder zwischen verschiedenen Nutzern zu entscheiden. Diese können und müssen nach Ansicht der Bundesrichter auf dem Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten ausgetragen werden können.


Urteilsanmerkungen:

Die Entscheidungsgründe des Urteils können Anlass zu der Idee geben, dass sich das Behalten landwirtschaftlicher Flächen nach dem Ende eines zivilrechtlichen Nutzungsrechts tatsächlich lohnt. Gibt der Landwirtschaftsbetrieb die Flächen nach Pachtende nicht heraus, sondern bewirtschaftet sie allein weiter, steht ihm die Betriebsprämie für diese Flächen zu. Hierbei muss die Nichtherausgabe der Flächen und Weiterbewirtschaftung nicht einmal ein Geschäftsmodell oder böse Absicht sein. Streitigkeiten über die Wirksamkeit von Pachtvertragskündigungen sind allgegenwärtig. In nicht wenigen Fällen entscheiden obere Instanzen abschließend anders als die erste Instanz. Es ist nicht unüblich, dass die Flächen während des oft jahrelangen Rechtsstreits vom ursprünglichen Pächter weiterbewirtschaftet werden.


Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang das Urteil des Amtsgerichts Westerstede vom 19.12.2018, Az.: 35 Lw 5050/17. Die Richter hatten über einen Sachverhalt zu entscheiden, in dem der Pächter die ihm überlassenen landwirtschaftlichen Flächen nach Beendigung des Pachtverhältnisses nicht rechtzeitig zurückgegeben hatte. Der Verpächter war ebenfalls Landwirt. Ihm entgingen durch die verspätete Rückgabe Fördermittel wie u. a. die Basisprämie, die Umverteilungsprämie, die Greeningprämie und die Ausgleichszulage. Das Amtsgericht Westerstede gestand dem Verpächter zu, diese Beträge gegen den Pächter als Verzugsschaden geltend zu machen.


Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zeigt weiterhin, dass die Mühlen der Justiz langsam mahlen. Anders ist es wohl nicht zu erklären, dass nach 13jähriger Verfahrensdauer ein Urteil zu den längst nicht mehr existierenden Betriebsprämien ergeht.


Das hier besprochene Urteil bezieht sich auf die Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003, d. h. auf die Gemeinsame Agrarpolitik zwischen 2003 und 2013. Mit der GAP Reform 2013 wurden die Betriebsprämien durch die sog. Direktzahlungen, bestehend u. a. aus Basisprämie, Umverteilungsprämie und Greeningprämie ersetzt. Deren Auszahlung regelt die Verordnung (EU) Nr. 1307/2013. Nach Art. 32 Abs. 1 wird eine Stützung im Rahmen der Basisprämienregelung den Betriebsinhabern bei Aktivierung eines Zahlungsanspruchs je beihilfefähige Hektarfläche mittels Anmeldung gemäß Artikel 33 Absatz 1 in dem Mitgliedstaat, in dem der Zahlungsanspruch zugewiesen wurde, gewährt. Gemäß Art. 32 Abs. 2 bezeichnet der Begriff „beihilfefähige Hektarfläche“ jede landwirtschaftliche Fläche des Betriebs, einschließlich Flächen, die in Mitgliedstaaten, die der Union am 1. Mai 2004 beigetreten sind und sich beim Beitritt für die Anwendung der Regelung für die einheitliche Flächenzahlung entschieden haben, am 30. Juni 2003 nicht in gutem landwirtschaftlichen Zustand waren, die für eine landwirtschaftliche Tätigkeit genutzt wird oder, wenn die Fläche auch für nichtlandwirtschaftliche Tätigkeiten genutzt wird, hauptsächlich für eine landwirtschaftliche Tätigkeit genutzt wird.


Die Bestimmungen, unter den Agrarförderung gewährt wird, sind in beiden Verordnungen ähnlich. Auch ab dem Jahr 2014 war nur eine landwirtschaftliche Fläche des Betriebs beihilfefähig. Es ist damit zu rechnen, dass es auch unter Geltung der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 auf die tatsächliche alleinige Bewirtschaftung der Flächen und nicht auf eine zivilrechtliche Nutzungsmöglichkeit ankommt.


Constanze Nehls
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Agrarrecht
Fachanwältin für Arbeitsrecht
BTR Rechtsanwälte