BTR-Blog

Wenn das Siegel kommt


veröffentlicht am: 04. Juni 2021

Seit Langem wird um das staatliche Tierwohlkennzeichen in der Politik gerungen. Wir erläutern die rechtlichen Konsequenzen einer Einführung.


Veröffentlichung in der Bauernzeitung, Auflage 44, 21. Woche 2021:


Der Verbraucher sieht sich beim Lebensmitteleinkauf mittlerweile fast 200 Labeln gegenüber. Diese reichen von der einfachen Produktkennzeichnung über Angaben zum Haltungsverfahren der Nutztiere bis hin zur Art der Fütterung. Urheber dieser „Labelflut“ sind unter anderem der Lebensmitteleinzelhandel und -produzenten, Anbauverbände, Tierschutzorganisationen, EU-Vermarktungsnormen oder freiwillige Angaben zur Nährwertqualität des Lebensmittels. Zumindest im Hinblick auf das Tierwohl sollen die durch die Läden und Presse geisternden Label nachfolgend näher beleuchtet werden.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) lässt das Meinungsforschungsinstitut Forsa jährlich ca. 1.000 Bürger ab 14 Jahren zu deren Ess- und Einkaufsgewohnheiten befragen. Die Ergebnisse veröffentlicht das BMEL seit 2016 im Ernährungsreport „Deutschland, wie es isst“. Der Ernährungsreport 2018 ist im Dezember 2017 erstellt worden. Darin ist etwa zu lesen, dass sich vier von fünf Befragten ein staatliches Tierwohllabel für tierische Produkte wünschen. 90 % der Befragten waren bereit, mehr für Lebensmittel zu bezahlen, wenn die Tiere besser gehalten werden, als es die Gesetze vorschreiben.


Tierwohl muss zunächst definiert werden

In der Folge haben die derzeitigen Regierungsparteien im Februar 2018 diesen Wunsch in dem von ihnen ausgehandelten Koalitionsvertrag verankert. Für den Bereich der Landwirtschaft ist darin vereinbart, dass Deutschland eine Vorreiterrolle beim Tierwohl übernehmen soll. In diesem Zusammenhang sollen tierische Lebensmittel, bei denen die Haltung über die gesetzlichen Vorgaben hinausging, verlässlich, einfach und verbraucherfreundlich gekennzeichnet werden. Hierfür ist der mehrstufige Aufbau eines staatlichen Tierwohllabels anhand verbindlicher Kriterien für Fleisch aus besserer Tierhaltung vorgesehen. Der Mehraufwand sollte honoriert werden.
Um etwas kennzeichnen zu können, muss es zunächst definiert werden. Für den Begriff des Tierwohls gibt es bisher keine gesetzliche Definition. Was die Bundesregierung unter Tierwohl versteht, hat sie in einer Antwort auf die Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen am 17. August 2018 erklärt. Danach sei unter „Tierwohl“ der Zustand des Tieres in Bezug auf die Abwesenheit von Schmerzen, Leiden, Schäden sowie die Ausprägung von Wohlbefinden zu verstehen. Der Begriff ziele darauf ab, wie es dem Tier geht. Im Gegensatz dazu gehe es im Tierschutz darum, was getan wird, um das Tierwohl zu sichern.


Kennzeichnung freiwillig oder Pflicht?

Im September 2019 hat die Bundesregierung schließlich den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung und Verwendung eines freiwilligen Tierwohlkennzeichens (Tierwohlkennzeichengesetz – TierWKG) beschlossen. Dieser Gesetzentwurf ist im Bundestag bisher noch nicht beraten worden. Unklar ist daher, wann und in welcher Form das TierWKG beschlossen wird. Nach dem derzeitigen Gesetzentwurf soll ein bundesein­heitliches Tierwohlkennzeichen zur Kennzeichnung von Lebensmitteln tierischer Herkunft eingeführt werden. Die Bundesregierung setzt hierbei auf Freiwilligkeit. Es ist kein Landwirt rechtlich verpflichtet, das Tierwohl­kennzeichen zu verwenden. Das Tierwohlkennzeichen darf nach dem Gesetzentwurf für die Werbung und Kennzeichnung von Lebensmitteln tierischer Herkunft allerdings nur dann verwendet werden, wenn bei der Haltung, dem Transport und der Schlachtung der Tiere, von denen die Lebensmittel gewonnen wurden, bestimmte Anforderungen erfüllt worden sind. Diese Anforderungen müssen die gesetzlichen Vorgaben zum Schutz der Tiere bei deren Haltung, Transport und Schlachtung übertreffen. Es sind bei den zu erfüllenden Anforderungen mehrere Abstufungen vorgesehen. Eine höhere Stufe muss weitergehende Anforderungen vorsehen als die jeweils darunterliegende Stufe.


Verordnung soll Details regeln

Wie diese Anforderungen aussehen, ist im Gesetzentwurf nicht enthalten. Stattdessen sollen die Anforderungen durch eine Rechtsverordnung detailliert festgelegt werden. Während für den Erlass eines Gesetzes der Bundestag zuständig ist, wird die Rechtsverordnung vom BMEL im Einvernehmen mit dem Wirtschafts- und Umweltministerium ohne Beteiligung des Bundestags und der gewählten Volksvertreter erlassen. Nach den Plänen der Bundesregierung muss derjenige, der das Tierwohlkennzeichen bei inländischen Lebensmitteln und inländischen Tieren erstmalig verwenden will, die geplante Verwendung der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) anzeigen. Der Anzeige ist eine Bescheinigung beizufügen, aus der sich ergibt, dass die Anforderungen dieses Gesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen erfüllt sind. Die BLE bestätigt den Eingang der Anzeige und der Bescheinigung schriftlich oder elektronisch innerhalb von zehn Werktagen nach deren Eingang unter Zuteilung einer Listennummer. Das Tierwohlkennzeichen darf dann erst nach Zugang der Bestätigung verwendet werden. Die Listennummer und der Verwender werden im Bundesanzeiger bekannt gemacht.
Für ausländische Lebensmittel und Tiere sind weitere Erfordernisse vorgesehen. Die Bescheinigung, dass der Verwender die Anforderungen an das Tierwohlkennzeichen erfüllt hat, wird nach dem Inhalt des Gesetzentwurfs von sogenannten Kontrollstellen ausgestellt.


Ungregelmäßigkeiten werden überprüft

Die Kontrollstellen sind Einrichtungen, die die BLE für die Prüfung der Erfüllung der Anforderungen des TierWKG an die Haltung, den Transport und die Schlachtung von Tieren zugelassen hat. Wer sich freiwillig für die Verwendung der Tierwohlkennzeichen entschieden hat, sollte wissen, dass die Kontrollstelle im Rahmen der Prüfung auch beurteilt, ob Verstöße gegen Vorschriften des Tierschutzgesetzes vorliegen, die das Ansehen des Tierwohlkennzeichens beeinträchtigen können. Die Prüfung durch die Kontrollstelle soll nach den Plänen der Bundesregierung regelmäßig mindestens zweimal im Jahr erfolgen. Hiervon soll eine Kontrolle im Jahr unangekündigt erfolgen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Kontrollstelle die BLE unverzüglich unterrichtet, wenn sie bei den Kontrollen Unregelmäßigkeiten oder Verstöße gegen das TierWKG feststellt oder in sonstiger Weise Kenntnis davon erhält, dass ein Verwender in schwerwiegender Weise gegen das TierWKG verstößt. Die BLE wird dann die Verwendung des Tierwohlkennzeichens untersagen. Der Gesetz­entwurf sieht auch zahlreiche Straf- und Bußgeldvorschriften für den Fall vor, dass Tierwohlkennzeichen ohne Erfüllung der vorgesehenen Anforderungen verwendet werden.


Regeln zunächst nur für Schweine

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung nur den verwaltungs­rechtlichen Rahmen des Tierwohlkennzeichens vorgibt. Die Anforderungen, die für die Verwendung erfüllt werden müssen, werden von der Bundesregierung nicht definiert. Hierfür sollen sich drei Bundesministerien abstimmen. Bisher ist nur der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft für den Entwurf einer Verordnung zur Verwendung des Tierwohlkennzeichens (Tierwohlkennzeichen­verordnung – TierWKV) veröffentlicht. Dieser Entwurf enthält neben zahlreichen organisatorischen Regelungen allerdings nur Anforderungen an die Haltung, den Transport und die Schlachtung von Schweinen, von denen Lebensmittel gewonnen werden, die mit dem Tierwohlkennzeichen versehen werden sollen. Diese Anforderungen gehen über die gesetzlichen Mindeststandards, wie sie beispielsweise die Tierschutznutz­tierhaltungsverordnung vorgibt, hinaus. Für Geflügel oder Rinder sind bislang keine Vorschriften vorgesehen. Es ist bis dato geplant, das Tierwohlkennzeichen zunächst nur für Schweinefleisch auf den Weg zu bringen. Die in der TierWKV vorgesehenen Kriterien für Schweine sind der Grafik zu entnehmen. Die TierWKV sieht in ihrem jetzigen Entwurf vor, dass es für die geplanten drei Stufen bei den Kriterien Beschäftigungsmaterial, Material zur Befriedigung des Nestbauverhaltens, Ferkelkastration, Tränke mit offener Wasserfläche, betriebliche Eigenkontrolle, Transport, Unterbringung am Schlachthof, Betäubung, Entbluten, System zur Erfassung von Tierschutzindikatoren und Tierschutzfortbildung nur gleichbleibende Anforderungen gibt.


Beschäftigungsmaterial und Absetzdatum

Während § 26 Abs. 1 Nr. 1 Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung beispielsweise vorsieht, dass jedes Schwein jederzeit Zugang zu gesundheitlich unbedenklichem und in ausreichender Menge vorhandenem Beschäftigungsmaterial haben muss, welches das Schwein untersuchen, bewegen und verändern kann, ist beim staatlichen Tierwohlkennzeichen mehr erforderlich. Nach dem bisherigen Entwurf der TierKWV muss das Beschäftigungsmaterial organisch, bewühlbar,kaubar und essbar sein, einen ernährungsphysiologischen Nutzen haben, das Erkundungsverhalten fördern und so angebracht sein, dass es mit dem Maul bewegt und bearbeitet werden kann. Das Beschäftigungsmaterial muss die futtermittelrechtlichen Vorschriften erfüllen. Durch Kot und Urin verunreinigtes Beschäftigungsmaterial ist auszutauschen. Für die Kriterien Buchten­struktur, Platzangebot für Absatzferkel und Mastschweine, den Zeitpunkt des Absetzens der Saugferkel und das Kürzen von Schwänzen sieht die TierKWV in ihrem jetzigen Entwurf unterschiedliche Anforderungen für die jetzt geplanten Stufen vor. Beispielsweise ist in § 27 Abs. 1 Satz 3 Tierschutznutztierhaltungsverordnung geregelt, dass ein Saugferkel im Alter von über drei Wochen abgesetzt werden darf, wenn sichergestellt ist, dass es unverzüglich in gereinigte und desinfizierte Ställe oder vollständig abgetrennte Stallabteile verbracht wird, in denen keine Sauen gehalten werden. Auf der Stufe 1 des staatlichen Tierwohllabels ist das Absetzen frühestens im Alter von 25 Tagen erlaubt. Die Stufe 2 sieht sodann über 28 Tage und die Stufe 3 über 35 Tage vor.


Preis soll wirtschaftliche Last ausgleichen

Ausweislich der Gesetzesbegründung zum TierWKG schätzt die Bundesregierung den Aufwand für die Wirtschaft zur Einführung des staatlichen Tierwohlkennzeichens einmalig auf ca. 3 Mio. € zuzüglich 96 Mio. €, die durch die TierWKV entstehen könnten. Hinzu kommt ein jährlicher Erfüllungsaufwand von 5 Mio. € aus Informationspflichten zuzüglich circa 164 Mio. €, die durch die TierWKV entstehen könnten. Nach Ansicht der Bundesregierung unterfällt dieser Erfüllungsaufwand der „One in, one out“-Regel und wird teilweise durch die entlastenden Regelungen der Verordnung zur Durchführung der Betäubung mit Isofluran bei der Ferkel­kastration durch sachkundige Personen kompensiert. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass die Wirtschafts­beteiligten an dem freiwilligen Kennzeichen nur dann teilnehmen werden, wenn sie einen entsprechend höheren Erzeugerpreis erwarten. Deshalb erwarte die Bundesregierung, dass der Erfüllungsaufwand das wirtschaftliche Ergebnis der Betriebe insgesamt nicht beeinträchtigt.


Ein ganz zäher Prozess

Der Entwurf der TierWKV ist im Bereich der Schweinehaltung recht umfangreich. Bedenkt man jedoch die großen Ambitionen, die die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag aufgeschrieben hat, sind die Taten deutlich hinter den geweckten Erwartungen zurückgefallen. Nachdem für Geflügel- und Rinderhaltung bisher nicht einmal Kriterien entwickelt wurden, ist die Bundesregierung auf weniger als der Hälfte der Strecke stehen geblieben. Stand jetzt ist unklar, wann das Gesetz überhaupt kommt und wann und wie ein staatliches Tierwohlkennzeichen für Rindfleisch oder Geflügel aussehen kann. Unlängst ist zudem der Bundesrechnungs­hof auf den Plan getreten. Die Rechnungsprüfer haben im Frühjahr 2021 empfohlen, „die Einführung des staatlichen freiwilligen Tierwohlkennzeichens vorerst nicht weiter voranzutreiben und insbesondere keine weiteren Kommunikationsmaßnahmen zu beauftragen.” Hintergrund ist unter anderem, dass das BMEL keine ausreichende Wirtschaftlichkeitsuntersuchung durchgeführt und auch keine Alternativen geprüft hat. Diese könnten nach Ansicht der Rechnungsprüfer in einem verpflichtenden Kennzeichen oder der Verschärfung der gesetzlichen Standards bestehen.


FAZIT:

Die großen Pläne für ein staatliches Tierwohlkennzeichen sind in den vergangenen Jahren leider nicht per Gesetz und Verordnung umgesetzt worden. Zwar gab es insbesondere im Bereich der Schweinehaltung umfangreiche Vorarbeiten, doch letztlich fehlte es am politischen Willen, verbindliche Regeln aufzustellen. Soll aber wirklich dauerhaft mehr Einkommen für die Betriebe generiert und mehr Tierwohl in die Ställe gebracht werden, muss die Politik endlich liefern.


RA Constanze Nehls, Fachanwältin für Agrar- und Arbeitsrecht, BTR Rechtsanwälte,
und Frank Rüdiger, IAK Agrar Consulting GmbH, Leipzig