BTR-Blog

Auf die Praxis kommt es an


veröffentlicht am: 31. August 2021
Leitsatz der Autorin

Der Bundesgerichtshof befasst sich in seinem Urteil mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sich die BVVG Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (nachfolgend: BVVG) schadensersatzpflichtig gemacht haben kann, wenn sie dem Käufer landwirtschaftlicher Flächen die Einholung eines Sachverständigengutachtens verwehrt hat. Die Richter nehmen auch zu der Frage Stellung, unter welchen Voraussetzungen Verwaltungsvorschriften Rechte des Bürgers begründen können.


Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.04.2021 – V ZR 147/19


Der Sachverhalt

Die Kläger sind Landwirte und betreiben einen Milchviehbetrieb. Sie bewirtschafteten landwirtschaftliche Flächen, die sie von der beklagten BVVG gepachtet haben. Es handelte sich hierbei um für den Milchviehbetrieb wichtige Flächen.


Im August 2012 führten sie mit der Beklagten ein Gespräch über den Erwerb dieser Flächen. Der Flächenerwerb sollte nach den „Grundsätze(n) für die weitere Privatisierung der Flächen der BVVG“ (nachfolgend: PG 2010) stattfinden. Hierbei handelte es sich um sog. Privatisierungsgrundsätze, auf die sich der Bund und die neuen Bundesländer (ohne Berlin) im Jahr 2010 geeinigt haben. 2.2.3 Abs. 5PG 2010 sah vor, dass die Beklagte den Kaufpreis entsprechend § 5 Abs. 1 FlErwV unter Berücksichtigung von Ausschreibungsergebnissen ermittelt. Kommt eine Einigung über den Preis nicht zustande, kann ein Gutachten in Auftrag gegeben werden.


Der Niederlassungsleiter der Beklagten erklärte den Klägern in dem Verkaufsgespräch, dass der Kaufpreis nicht verhandelbar sei. Die Kläger hätten nur die Möglichkeit, den verlangten Preis zu zahlen oder das Erwerbsrecht am 30.09.2012 zu verlieren. Die Kläger haben hiernach versucht, den Kaufpreis durch ein Gutachten überprüfen zu lassen. Dies erwies sich als erfolglos. Um die für ihren Milchviehbetrieb unverzichtbaren Flächen und damit ihre Existenzgrundlage nicht zu verlieren, haben sie den für überhöht gehaltenen Kaufpreis schließlich akzeptiert. Sie kauften die streitgegenständlichen Flächen mit notariellem Vertrag vom 11.10.2012. Der Kaufpreis betrug 5.615.019,06 EUR.


Mit anwaltlichem Schreiben vom 19.09.2016 vertraten die Kläger sodann gegenüber der Beklagten die Auffassung, der Kaufpreis sei um 2.403.751,78 EUR überhöht gewesen. Sie forderten die Beklagte zur anteiligen Rückzahlung des Kaufpreises auf. Sie begründeten ihren Schadensersatzanspruch mit dem Verstoß der Beklagten gegen Nr. 2.2.3 Abs. 5 PG 2010 und der darin enthaltenen Pflicht zur Einholung des Sachverständigengutachtens. Da die Beklagte das Rückzahlungsverlangen umgehend zurückgewiesen hat, erhoben die Kläger unter dem 24.04.2017 Klage vor dem Landgericht Berlin.


Das Landgericht Berlin verurteilte die Beklagte, an die Kläger den über dem Verkehrswert liegenden Teils des Kaufpreises zurückzuzahlen. Zur Begründung führten die Richter der ersten Instanz aus, die Kläger hätten einen bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsanspruch. Der Kaufvertrag sei unter Verstoß gegen die die Beklagte bindenden Regelungen PG 2010 zustande gekommen sei, weshalb der Kaufpreis nicht wirksam vereinbart worden sei. Die Beklagte habe die Pflicht gehabt, ein Gutachten zu beauftragen, und habe das Grundstück auch nur zum Verkehrswert veräußern dürfen.


Die Beklagte legte gegen das Urteil des Landgerichts Berlin Berufung beim Kammergericht ein. Die Richter des Kammergerichts vertraten eine andere Auffassung als die erste Instanz und wiesen die Rückzahlungsklage der Kläger ab. Nach Ansicht der Berufungsrichter lag weder ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot noch eine sittenwidrige Überhöhung des Kaufpreises vor. Es sei auch kein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung vorvertraglicher Verpflichtungen gegeben. Die Beklagte sei an den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Sie müsse deshalb ihre Vertragspartner vorvertraglich gleich behandeln. Aus diesem Grund hätte sie im Fall der Kläger ein Gutachten über den Verkehrswert nur dann einholen müssen, wenn über den Verkehrswert Uneinigkeit bestanden und sie nach ihrer ständigen Verwaltungspraxis in solchen Fällen ein Gutachten eingeholt hätte. Beide Bedingungen seien in dem vorliegenden Fall aber nicht erfüllt gewesen. Die Kläger und die Beklagte seien sich über den Kaufpreis einig gewesen. Zudem habe die Beklagte mindestens seit dem Jahr 2011 keine Gutachten mehr über den Verkehrswert eingeholt. Auch die PG 2010 hätten hieran nichts geändert. Die Kläger hätten keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte verwaltungsinterne Regelungen einhalte. Maßgeblich sei allein, ob die Beklagte von ihrer ständigen Verwaltungspraxis abgewichen sei. Das sei nicht der Fall gewesen, so dass ein Rückforderungsanspruch bereits dem Grunde nach ausscheide.


Die Kläger legten sodann gegen die Entscheidung des Kammergerichts Revision vor dem Bundesgerichtshof ein.


Das Urteil

Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Kammergerichts nunmehr bestätigt. Danach haben die Kläger keinen Anspruch auf Rückzahlung der Differenz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem von ihnen behaupteten Verkehrswert der erworbenen Flächen.


Nach Ansicht der Richter hat das Berufungsgericht einen Rückzahlungsanspruch der Kläger aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB zu Recht verneint. Der Kaufvertrag der Parteien sei weder insgesamt noch in Bezug auf die Kaufpreisabrede wegen eines Gesetzesverstoßes nach § 134 BGB oder wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB) oder Wuchers (§ 138 Abs. 2 BGB) nichtig.


Die Bundesrichter führten aus, dass die Nichtigkeit oder Teilnichtigkeit des Kaufvertrages wegen eines Gesetzesverstoßes nach § 134 BGB ausscheide. Die PG 2010 seien kein Gesetz. Ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG führe nur dann zur Nichtigkeit des Kaufvertrages oder der Kaufpreisabrede, wenn Art. 3 Abs. 1 GG den Vertrag oder die Kaufpreisabrede eindeutig nicht zuließe. Das sei nicht der Fall. Der geltend gemachte Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG betreffe nicht den Inhalt des Kaufvertrages, sondern nur das Vorgehen der BVVG bei der Vorbereitung des Vertrages. Es komme deshalb insoweit nur ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten in Betracht.


Der Bundesgerichtshof war zudem der Auffassung, dass keine Nichtigkeit oder Teilnichtigkeit des Kaufvertrages als sogenanntes wucherähnliches Rechtsgeschäft gemäß § 138 Abs. 1 BGB vorliegt. Hintergrund sei, dass zwischen dem von den Klägern behaupteten Wert der Grundstücke und dem vereinbarten Kaufpreis kein besonders grobes Missverhältnis bestand. Ein solches setze eine Überschreitung des Verkehrswerts um mehr als 90 % voraus. Im vorliegenden Fall habe der Kaufpreis den Verkehrswert nach dem Vortrag der Kläger jedoch nur um ca. 74 % überschritten. Weil eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten als der Begünstigten in einem solchen Fall nicht vermutet werde, käme eine Nichtigkeit nach § 138 BGB nur in Betracht, wenn eine verwerfliche Gesinnung ihrerseits hervorgetreten wäre oder ähnlich gewichtige Umstände vorlägen. Daran fehle es jedoch schon wegen der Möglichkeit der Kläger, die Flächen statt im Wege des Direkterwerbs im Wege der Ausschreibung erwerben zu können. Ebenso wenig bestünden Anhaltspunkte für das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des Wuchertatbestands.


Die Bundesrichter legen in ihrem Urteil weiterhin dar, dass das Kammergericht den Anspruch der Kläger auf Schadensersatz wegen Verletzung einer vorvertraglichen Verpflichtung gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG zu Recht verneint habe. Entgegen der Ansicht der Kläger war die Beklagte nach den PG 2010 nicht verpflichtet, auf Verlangen der Kläger ein Gutachten über den Verkehrswert des Grundstücks einzuholen und ihnen die verkauften Flächen zu dem in dem Gutachten ermittelten Preis zu verkaufen.
Zur Begründung wiesen sie zunächst darauf hin, dass die Beklagte im Innenverhältnis zu der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) als ihrem Auftraggeber und gegenüber dem dieser gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 TreuhG vorgesetzten Bundesministerium der Finanzen zur Einhaltung der PG 2010 verpflichtet sei. Die Beklagte habe den Zweck, die Privatisierung der ehemals volkseigenen land- und forstwirtschaftlichen Flächen im Beitrittsgebiet zu steuern. Diese Flächen seien der BvS durch §§ 1 und 3 der 3. DVO z. TreuhG übertragen worden und nach § 4 der 3. DVO z. TreuhG, § 1 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 6 TreuhG so zu privatisieren, dass den ökonomischen, ökologischen, strukturellen und eigentumsrechtlichen Besonderheiten dieses Bereiches Rechnung getragen werde. Hierbei handele es sich um gesetzliche Vorgaben, die die BvS und die von ihr beauftragten Unternehmen wie die Beklagte als Privatisierungsstelle des Bundes im Interesse der Allgemeinheit zu beachten haben. Die praktische Bedeutung dessen werde durch die PG 2010 konkretisiert. Diese wirken wie eine Allgemeine Verwaltungsvorschrift, die die Beklagte als Privatisierungsstelle des Bundes im Innenverhältnis zur BvS zu beachten habe.
Daran ändere es, wie es sich etwa der Regelung in Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG entnehmen lässt, nichts, dass das Bundesministerium der Finanzen die Leitlinien mit den betroffenen Bundesländern in dem in Art. 1 des Einigungsvertrages genannten Gebiet abgestimmt und darin die Mitwirkung dieser Länder bei der Umsetzung vorgesehen habe.


Ob und unter welchen Voraussetzungen dieser Bindung der Beklagtem im Innenverhältnis auch eine Verpflichtung gegenüber den Erwerbern im Außenverhältnis entspricht, werde in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. Teilweise werde eine solche Bindung mit dem unter Hinweis auf den internen Charakter der Leitlinien verneint. Teilweise werde sie mit unterschiedlicher Begründung bejaht.


Ob die Beklagte im Außenverhältnis zu den Erwerbern verpflichtet ist, entsprechend den PG 2010 vorzugehen, lässt sich nach Ansicht des Bundesgerichtshofs weder uneingeschränkt bejahen noch uneingeschränkt verneinen. Entscheidend sei vielmehr, wie die Beklagte die PG 2010 im maßgeblichen Zeitpunkt – hier also bei Abschluss des Kaufvertrages – in ständiger Praxis gehandhabt habe und in welchem Umfang sie infolgedessen als Privatisierungsstelle des Bundes, dem die Privatisierungsaufgabe nach § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 TreuhG übertragen worden sei, aufgrund des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) gebunden sei.


Für ihre Entscheidung ziehen die Richter des Bundesgerichtshofs sodann die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts heran. Danach begründen ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften schon durch ihr bloßes Vorhandensein Rechte des Bürgers. Anders sei dies nur bei Gesetzen und Rechtsverordnungen. Entscheidend sei vielmehr, wie die zuständigen Behörden die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt haben und in welchem Umfang diese infolgedessen durch den Gleichheitssatz gebunden seien. Diesem Grundsatz entspreche auch die Rechtsprechung der mit verwaltungsähnlichen Materien befassten Senate des Bundesgerichtshofs. Der im vorliegenden Fall erkennende Senat gehe in Übereinstimmung mit diesen Senaten ebenfalls davon aus, dass eine interne Leitlinie nur durch eine entsprechende Praxis der adressierten Stelle und die an eine solche Praxis anknüpfende Verpflichtung zur Gleichbehandlung Außenwirkung erlangen könne.


Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erlangten die zur Umsetzung von § 1 Abs. 6 TreuhG erlassenen PG 2010 nach Auffassung der Bundesrichter nicht schon durch ihre Veröffentlichung, sondern nur durch eine entsprechende ständige Praxis der Beklagten i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und nur in deren Rahmen Außenwirkung. Daran ändere es nichts, dass die PG 2010 auf Außenwirkung angelegt waren und den Pächtern der Beklagten den für die Erhaltung ihrer Betriebe notwendigen sogenannten Direkterwerb ermöglichen sollten. Diese Zielsetzung besage nichts über die Bedingungen, unter denen die Regelungen der PG 2020 einklagbare Rechte der Erwerber begründen. Verwaltungsvorschriften würden regelmäßig erlassen, um die Praxis nachgeordneter Behörden zu vereinheitlichen und ggf. auch, um sie im Rahmen der Gesetze in eine bestimmte Richtung zu lenken. Die öffentliche Bekanntgabe entsprechender Verwaltungsvorschriften führe dazu, dass diejenigen, die mit den adressierten Stellen der Verwaltung zu tun haben, deren zu erwartende Verwaltungspraxis besser überblicken und einschätzen können. Dies ändere aber nichts an der Natur der Verwaltungsvorschrift als interner Regelung mit unmittelbarer Bindungswirkung nur für die mit den Vorschriften adressierten Stellen. Die Entscheidung für eine Steuerung der Verwaltungspraxis durch Verwaltungsvorschriften sei regelmäßig auch eine Entscheidung dafür, diese Vorschriften bei Bedarf flexibel ändern zu können. Das ändere sich nur und erst, wenn die Verwaltungsvorschriften in ständiger Praxis umgesetzt werden und dadurch unter dem Gesichtspunkt einer Verpflichtung zur Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG Rechte der Betroffenen gegenüber der Verwaltungsbehörde entstehen.


Legt man diese Maßstäbe an, haben die Kläger die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Schadensersatz wegen der Verletzung vorvertraglicher Pflichten gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht dargelegt. Entscheidens sei, ob die Beklagte bei Anwendung der PG 2010 gegenüber einem Erwerber verpflichtet war, auf dessen Verlangen ein Verkehrswertgutachten für die anzukaufenden Flächen einzuholen und ihm die Flächen zu dem in dem eingeholten Gutachten ermittelten Wert zu verkaufen. Das wäre nur der Fall, wenn die Beklagte Nr. 2.2.3 Abs. 5 PG 2010 bei Abschluss des Vertrags in ständiger Praxis so gehandhabt hätte. So sei es im vorliegenden Fall jedoch nicht gewesen.


Die Richter des Bundesgerichtshof wiesen darauf hin, dass eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten in Nr. 2.2.3 Abs. 5 PG 2010 nicht klar und eindeutig geregelt sei Danach ermittele die Beklagte den Kaufpreis entsprechend § 5 Abs. 1 FlErwV unter Berücksichtigung von Ausschreibungsergebnissen. In dieser Vorschrift seien die inhaltlichen Vorgaben für die Ermittlung des Verkehrswerts, zu dem die Flächen verkauft werden sollen, geregelt. Sie sehe in Satz 4 zwar die Möglichkeit vor, eine abweichende Bestimmung durch ein Verkehrswertgutachten des Gutachterausschusses zu verlangen, aber nur für den – hier nicht gegebenen – Fall, dass von regionalen Wertansätzen abgewichen werden sollen. In Nr. 2.2.3 Abs. 5 Satz 2 PG 2010 sei zudem kein Anspruch auf Einholung eines Gutachtens, sondern nur bestimmt, dass dies geschehen könne.


Eine Verwaltungsvorschrift unterliege keiner eigenständigen richterlichen Auslegung wie eine Rechtsnorm. Maßgeblich sei gerade auch in Fällen, in denen der Wortlaut in einer Verwaltungsvorschrift – wie hier – unklar und darum auslegungsbedürftig ist, wie die zuständigen Stellen die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt haben. Für die Pflichtverletzung komme es deshalb entscheidend darauf an, ob die Beklagte in dem Zeitraum, in dem der Vertrag der Parteien geschlossen wurde, in ständiger Praxis auf Verlangen des Erwerbers ein Verkehrswertgutachten eingeholt und dem Erwerber die Flächen zu dem Wert verkauft hat, den das Gutachten ergab. Die Kläger haben nach den Feststellungen des Berufungsgerichts vorgetragen, die Beklagte habe jedenfalls seit 2011 durchgängig abgelehnt, ein Gutachten einholen zu lassen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht der im Berufungsurteil wiedergegebene Vortrag der Beklagten, sie habe bis zum Jahr 2011 bei mehr als 1.000 Vertragsschlüssen nur 27 Gutachten in Auftrag gegeben. Danach bestand in dem maßgeblichen Zeitraum gerade keine ständige Praxis der Beklagten auf Verlangen des Erwerbers ein Gutachten einzuholen und die Flächen zu einem Kaufpreis in Höhe des in dem Gutachten festgestellten Werts zu verkaufen.


Eine Verletzung von Schutzpflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB könne nach Auffassung des Bundesgerichtshofs auch nicht darin gesehen werden, dass die Beklagte den Klägern keine Nachberechnungsklausel angeboten oder nachvollziehbare Einwände der Kläger gegen den Kaufpreis unberücksichtigt gelassen habe. Die Beklagte war nicht verpflichtet, den Klägern eine Nachberechnungsklausel anzubieten. Solche Klauseln wurden zwar in Verträgen über den Erwerb landwirtschaftlicher Flächen durch Pächter der Beklagten nach § 3 AusglLeistG häufig vorgesehen. In den PG 2010 seien solche Klauseln aber nicht (mehr) vorgesehen; dass sie dennoch in ständiger Praxis vorgesehen worden sein sollen, haben die Kläger nicht behauptet.


Nach Ansicht der Bundesrichter bedurfte es keiner Entscheidung darüber, ob behördeninternen Leitlinien ausnahmsweise dann Außenwirkung zukommen könne, wenn die Entscheidung der Stelle, an die sich die Leitlinien richten, unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr vertretbar oder in sonstiger Weise willkürlich sei. Dass die Beklagte seit 2011 auch bei einem entsprechenden Verlangen des Erwerbers keine Gutachten mehr einholt, war für den Bundesgerichtshof u. a. angesichts der Unschärfe der Formulierung in Nr. 2.2.3 Abs. 5 PG 2010 nicht willkürlich.


Zu guter Letzt wies der Bundesgerichtshof darauf hin, dass der Anspruch der Kläger ohnehin verjährt wäre. Der Schadensersatzanspruch unterliege – anders als der erstinstanzlich angenommene Bereicherungsanspruch – nicht einer Verjährungsfrist von zehn Jahren nach § 196 BGB, sondern der regelmäßigen Verjährung von drei Jahren nach § 195 BGB. Diese Verjährungsfrist beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Dieser Zeitpunkt sei spätestens bei Abschluss des Kaufvertrages am 11.10.2012 eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt war den Klägern klar, dass die Beklagte kein Gutachten einholen und nur zu dem dann auch vereinbarten Kaufpreis verkaufen wollte. Zu einer Hemmung durch Verhandlungen nach § 203 BGB sei es nicht gekommen, da die Beklagte ein entsprechendes Ansinnen der Kläger umgehend zurückgewiesen habe. Die Verjährungsfrist begann deshalb am 01.01.2013 und war daher bei Einreichung der Klage am 24.04.2017 bereits abgelaufen.


Urteilsanmerkungen

von Rechtsanwältin Constanze Nehls, Fachanwältin für Agrarrecht, Fachanwältin für Arbeitsrecht, BTR Rechtsanwälte


In Fachkreisen ist das Urteil des Bundesgerichtshofs mit Spannung erwartet worden. Käufer landwirtschaft­licher Flächen haben in der Vergangenheit in zwei verschiedenen Verfahren Rückzahlungsansprüche gegen die BVVG geltend gemacht. Beiden ist entgegen der PG 2010 die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Kaufpreisbestimmung verwehrt worden.
Das Landgericht Berlin gab den Klägern in beiden Fällen Recht und gestand ihnen einen Rückzahlungs­anspruch in Höhe des den Verkehrswert übersteigenden Kaufpreises zu. In dem hier besprochenen Verfahren war der Siegeszug der Kläger vor dem Kammergericht allerdings beendet. In dem Parallelverfahren sahen die Richter eines anderen Senats des Kammergerichts den Rückzahlungsanspruch dagegen als begründet an (vgl. KG, Urteil vom 19.09.2019, Az.: 23 U 76/18, kommentiert in AgrB 2020, 185 f.). Zur Begründung führten sie aus, dass die Privatisierung des Flächenerwerbs eine öffentliche Aufgabe sei. In diesem Zusammenhang folge aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, dass die BVVG bestehende Verwaltungsvorschriften einhalten müsse. Für die Selbstbindung und die Anspruchsentstehung sei bereits die Existenz einer gültigen Verwaltungsvorschrift ausreichend. Es komme nicht darauf an, dass sich eine entsprechende Verwaltungs­praxis auch tatsächlich herausgebildet habe. Erwartungsgemäß hat die BVVG gegen das sehr landwirts­freundliche Urteil des Kammergerichts Revision eingelegt. Der Bundesgerichtshof hat dieser Revision mit Urteil vom 23.04.2021 in dem Parallelverfahren zum Az.: V ZR 248/19 stattgegeben und die Rückzahlungsklage des klagenden Landwirts abgewiesen. Die Begründung erfolgte entsprechend der vorstehenden Erwägungen.